Text: Alexander von Tomberg
Das Ohr an der Schiene
Das Ohr an der Schiene
Einem Fremden Vertrautes erzählen, das nicht mal Freunde und Familie wissen? Christoph Busch sitzt in einem ehemaligen Hamburger U-Bahnhof-Kiosk und hört zu. Die Menschen gehen erleichtert – und Busch hat Stoff für neue Geschichten.
„Die frischeste Geschichte ist nur ein paar Minuten alt und geht so”, sagt Christoph Busch, seine Augen leuchten, er kann es kaum erwarten, die kleine Anekdote weiterzutragen: „Eine Frau war mit ihrer Arbeit unglücklich, fühlte sich gemobbt. Halt gab ihr nur ihr Hund, den sie ins Büro mitbringen durfte.” Busch macht eine Pause, sucht nach den richtigen Worten. „Nach aufreibenden Wochen äußert ausgerechnet der Hund, was Frauchen insgeheim über ihren Job und die Kollegen denkt.” Kunstpause. „Er kotzt auf den Büroteppich.” Busch lächelt. „Ende der Geschichte.” Die Miniatur gefällt ihm, der Hund als Bote unausgesprochener Gefühle beflügelt seine Fantasie. „Ausdenken kann man sich das nicht.”
Die Hundestory ist eine der vielen Geschichten, die wildfremde Menschen ihm in seinem kleinen Kiosk im U-Bahnhof Emilienstraße erzählen. Hier, mitten im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, sitzt der Drehbuchautor in einer Art Glaskasten, den er „Das Ohr“ nennt. Er hat sich wohnlich eingerichtet: Ein Tisch mit Obstschale, in den Regalen kleine Buddha-Figuren und eine Piñata, die Besucher ihm geschenkt haben. An den Wänden Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus verschiedenen Städten.
„Die frischeste Geschichte ist nur ein paar Minuten alt und geht so”, sagt Christoph Busch, seine Augen leuchten, er kann es kaum erwarten, die kleine Anekdote weiterzutragen: „Eine Frau war mit ihrer Arbeit unglücklich, fühlte sich gemobbt. Halt gab ihr nur ihr Hund, den sie ins Büro mitbringen durfte.” Busch macht eine Pause, sucht nach den richtigen Worten. „Nach aufreibenden Wochen äußert ausgerechnet der Hund, was Frauchen insgeheim über ihren Job und die Kollegen denkt.” Kunstpause. „Er kotzt auf den Büroteppich.” Busch lächelt. „Ende der Geschichte.” Die Miniatur gefällt ihm, der Hund als Bote unausgesprochener Gefühle beflügelt seine Fantasie. „Ausdenken kann man sich das nicht.”
Die Hundestory ist eine der vielen Geschichten, die wildfremde Menschen ihm in seinem kleinen Kiosk im U-Bahnhof Emilienstraße erzählen. Hier, mitten im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel, sitzt der Drehbuchautor in einer Art Glaskasten, den er „Das Ohr“ nennt. Er hat sich wohnlich eingerichtet: Ein Tisch mit Obstschale, in den Regalen kleine Buddha-Figuren und eine Piñata, die Besucher ihm geschenkt haben. An den Wänden Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus verschiedenen Städten.
„Ich wohne in der Nähe und sah vor zwei Jahren zum ersten Mal ein kleines Schild hier: „Zu Vermieten. Hochbahn“. Da reifte eine Idee in mir heran. Wie wäre es, wenn ich hier sitze und schreibe? Ich saß gerade an einem Projekt, das sich mit Gefühlen befasst und suchte nach einer Inspiration. Die Hochbahn fand das Projekt spannend und gab dem Ganzen den Arbeitstitel „Schreibstube“. Aber während der Renovierung des Kiosks kam ich mit vielen Fahrgästen ins Gespräch und hörte zu. Und das machte mich neugierig, denn ich genieße es, zuzuhören, zu beobachten. So entwickelte sich mein Zuhörer-Kokon“.
Busch profitiert von den Geschichten der Menschen. Sie sind für den Sauerländer so wichtig, wie die Luft zum Atmen. Er hat Hör- und Drehbücher geschrieben, zweimal war er für den Deutschen Fernsehpreis nominiert. Er ist kein Psychologe, das ist ihm sehr wichtig. „Ich gebe nicht wie ein Therapeut durch bestimmte Fragen die Richtung vor, sondern widerspreche auch mal meinem Gegenüber, mische mich ein. Wenn sich die Person hinter allgemeinen Aussagen versteckt, hake ich konkret nach.“
Seit fast fünf Monaten sammelt er nun Geschichten von Fremden, fotografiert die Leute, macht sich Notizen. Zwischen 16 und 90 Jahre sind seine Besucher alt, einige kommen sogar regelmäßig vorbei. Inzwischen hat er sich einen Terminplaner besorgt, um jedem Erzähler seine ganz persönliche Zeit zu sichern. Das klappt nicht immer, wenn er mal wieder zwischen zwei Terminen aus seinem Glaskasten heraus einen Fahrgast der U2 anspricht. „Viele öffnen sich sehr schnell, wenn man ihnen direkt in die Augen blickt, sie etwas fragt und dann abwartet.“
Eine junge Frau schaut sich flüchtig den Kiosk an, Busch spricht sie an. „Ich höre zu“, sagt er mit seiner sonoren Stimme. Auffällig ist, dass er selten blinzelt und so absolute Konzentration ausstrahlt, fast so, als suche er für einen Radiosender eine störungsfreie Frequenz. Ihm reichen Nuancen, knappe Antworten, um sich auf die Hamburgerin einzustellen. Sender und Empfänger harmonieren, das Gespräch kommt schnell in Gang. Für ein paar Minuten unterhalten sie sich. Busch erschafft in all der Schnelllebigkeit ernsthafte Momente. Sie nimmt den Infozettel und will wiederkommen.
Über die große Resonanz auf sein „Ohr“ ist er immer noch überrascht. Nicht nur Hamburger suchen den Weg zu ihm, sondern auch Menschen aus dem Umland.
Einige stellen klar, dass sie einen intakten Freundes- und Familienkreis haben, mit dem sie reden können. Aber eins vereint alle Besucher: Sie verzweifeln daran, dass ihnen niemand mehr so richtig zuhört. Sie vereinsamen innerlich. Und: Sie sind traurig. Oft erzählen sie von einer unglücklichen Kindheit. „Mich tröstet der Gedanke, dass sich diese Menschen etwas Glück bei mir versprechen und sie deswegen ein schönes Erlebnis bei mir hatten“, sagt er, „Ich merke, dass die Leute anders sind, wenn sie meinen Kiosk wieder verlassen, dass ihnen das Sprechen gutgetan hat.“
Der Vater von neun- und zwölfjährigen Töchtern entdeckt im Gespräch viele Gefühlswelten, die er noch nicht gekannt hatte. „Ich nehme davon emotional nichts nach Hause“, sagt er, „Es mag für andere anstrengend klingen, den traurigen Geschichten tagtäglich zuzuhören, aber es ist eine Bereicherung und ein neuer Lebensabschnitt für mich hier im Untergrund.“ Er sammle nicht nur Stoff – er schaue, was das alles mit ihm macht. „Darüber werde ich bald ein Buch schreiben.“
Eine Veränderung hat seine Familie an ihm schon festgestellt: „Meine Schwiegermutter sagt, dass ich mich seitdem anders benehme“. Er merke es, wenn er einkaufen gehe. Dann sehe er die anderen Menschen mit anderen Augen. „Ich mache mir meine Gedanken – wer ist das? Hätte ich die Person früher mal angesprochen?“ Er wird heute viel öfter angelächelt als früher und das habe nur einen Grund: Er sei einfach offener geworden.
Seit fast fünf Monaten sammelt er nun Geschichten von Fremden, fotografiert die Leute, macht sich Notizen. Zwischen 16 und 90 Jahre sind seine Besucher alt, einige kommen sogar regelmäßig vorbei. Inzwischen hat er sich einen Terminplaner besorgt, um jedem Erzähler seine ganz persönliche Zeit zu sichern. Das klappt nicht immer, wenn er mal wieder zwischen zwei Terminen aus seinem Glaskasten heraus einen Fahrgast der U2 anspricht. „Viele öffnen sich sehr schnell, wenn man ihnen direkt in die Augen blickt, sie etwas fragt und dann abwartet.“
Eine junge Frau schaut sich flüchtig den Kiosk an, Busch spricht sie an. „Ich höre zu“, sagt er mit seiner sonoren Stimme. Auffällig ist, dass er selten blinzelt und so absolute Konzentration ausstrahlt, fast so, als suche er für einen Radiosender eine störungsfreie Frequenz. Ihm reichen Nuancen, knappe Antworten, um sich auf die Hamburgerin einzustellen. Sender und Empfänger harmonieren, das Gespräch kommt schnell in Gang. Für ein paar Minuten unterhalten sie sich. Busch erschafft in all der Schnelllebigkeit ernsthafte Momente. Sie nimmt den Infozettel und will wiederkommen.
Über die große Resonanz auf sein „Ohr“ ist er immer noch überrascht. Nicht nur Hamburger suchen den Weg zu ihm, sondern auch Menschen aus dem Umland.
Einige stellen klar, dass sie einen intakten Freundes- und Familienkreis haben, mit dem sie reden können. Aber eins vereint alle Besucher: Sie verzweifeln daran, dass ihnen niemand mehr so richtig zuhört. Sie vereinsamen innerlich. Und: Sie sind traurig. Oft erzählen sie von einer unglücklichen Kindheit. „Mich tröstet der Gedanke, dass sich diese Menschen etwas Glück bei mir versprechen und sie deswegen ein schönes Erlebnis bei mir hatten“, sagt er, „Ich merke, dass die Leute anders sind, wenn sie meinen Kiosk wieder verlassen, dass ihnen das Sprechen gutgetan hat.“
Der Vater von neun- und zwölfjährigen Töchtern entdeckt im Gespräch viele Gefühlswelten, die er noch nicht gekannt hatte. „Ich nehme davon emotional nichts nach Hause“, sagt er, „Es mag für andere anstrengend klingen, den traurigen Geschichten tagtäglich zuzuhören, aber es ist eine Bereicherung und ein neuer Lebensabschnitt für mich hier im Untergrund.“ Er sammle nicht nur Stoff – er schaue, was das alles mit ihm macht. „Darüber werde ich bald ein Buch schreiben.“
Eine Veränderung hat seine Familie an ihm schon festgestellt: „Meine Schwiegermutter sagt, dass ich mich seitdem anders benehme“. Er merke es, wenn er einkaufen gehe. Dann sehe er die anderen Menschen mit anderen Augen. „Ich mache mir meine Gedanken – wer ist das? Hätte ich die Person früher mal angesprochen?“ Er wird heute viel öfter angelächelt als früher und das habe nur einen Grund: Er sei einfach offener geworden.